Liam Gallagher brilliert als Twitter-Proll und Interviewtroll. Warum bloß hört man davon nichts in der planstadtmäßigen Rockmusik seines dritten Soloalbums?
Eine Rezension von André Boße
AmSonntag, dem 22. Mai, hat Liam Gallagher innerhalb weniger Stunden 15 Tweetsvom Stapel gelassen. Viele enthielten Beschimpfungen, die man nicht zitieren möchte,andere ergaben nur Sinn, wenn man den englischen Fußball der vergangenen Jahrzehnteverfolgt hat. Gut, der 22. Mai war auch ein besonderer Tag: Manchester Cityhatte am letzten Spieltag der Premier League in einem Herzschlagfinale gegenAston Villa gewonnen. Meisterschaft! Ein Punkt vor dem Rivalen aus Liverpool.Klar, dass Man-City-Fan Liam nach einem solchen Sieg nicht von seinem Handylassen konnte. Wobei nicht alles, was er tippte, dumpf war: Man-City-Coach PepGuardiola ausgerechnet nach dem Fernduell mit Liverpool zum "Sgt. Pep"zu machen, in Anlehnung an das Beatles-Album Sgt. Pepper's Lonely Hearts ClubBand, das hatte schon was. Und typisch auch das Schlusswort: "Congratulationsto me LG x".
Gallaghertwittert, wie er schnattert: impulsiv, intuitiv. Ganz anders geht er seineAlben an, die wirken gemäßigt und geplant. Das jüngste ist jetzt erschienen undträgt einen Titel, so nichtssagend wie der Werbespruch eines Limonadenherstellers,der richtig schlecht beraten wurde: C'mon You Know. Es handelt sich um Gallaghersdritte Platte unter eigenem Namen, davor gab es zwei Alben mit der Alibi-BandBeady Eye, die er gegründet hatte, um nach dem Ende von Oasis weiterhin eineGruppe zu haben. Seit 2017 reicht ihm der eigene Name, und das ist genaurichtig so. Denn wenn jemand als Interpret einen glänzenden Ruf genießt, dann Gallagher,der Gott und der Teufel unter den Britpop-Sängern, dessen gesangliche Verschleppungvon Begriffen wie "sunshine" ("sun-shi-ain") der Cool-Britannia-Bewegungab Mitte der Neunziger überhaupt erst eine Sprache gab.
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WerGallagher auf Twitter folgt, hat fast jeden Tag etwas zu lachen. Wer seineSongs hört, gewinnt ein paar Ohrwürmer hinzu, lacht aber so selten wie dasServicepersonal auf der Jahreshauptversammlung eines börsennotiertenUnternehmens. Die Musik von Gallagher ist humorbefreit. Immerhin schaut er für C'monYou Know nicht mehr grimmig vom Albumcover, wie es bei seinen ersten beidenSoloplatten der Fall war –das hebt sich Gallagher diesmal für diePressefotos auf. Stattdessen sieht man ein Bild von Fans, in freudigerErwartung eines Gallagher-Gigs. Einer dieser Fans, ein Typ in der Mitte desGetümmels, sieht aus, wie der Star selbst aussah, als Oasis noch die größte Bandder Welt war oder Leute das wenigstens glaubten, zum Beispiel im Münchner ClubAtomic Café (geschlossen seit 2015). Man kann sich gut vorstellen, dass auch Morrisseyschon einmal über ein solches Cover nachgedacht hat.
Ui,da wettern jetzt die Liam-Ultras, denn Morrissey ist ein böser Narzisst. Gallagherzwar auch, aber eben ein guter. Oder zumindest einer, mit dem man Spaß haben kann. Theoretisch. AufTwitter und in Interviews. Aber mit der Musik seiner Solokarriere? Zuletztbrachte Gallagher eine MTV-Unplugged-Platte heraus und frönte damit der zumKerzenständer umfunktionierten Jack-Daniel's-Flasche unter den Musikformaten. Unplugged– da denkt man an Kurt Cobains Strickjacke, an EricClaptons Layla-Version, ohne die esStarbucks wohl nicht durch die Neunziger geschafft hätte, oder, wenn man aus Deutschland kommt, an die FantastischenVier auf einem Barhocker-Hip-Hop-Trip, den sie bis heute nicht ganz verwundenhaben. Waren Oasis nicht einst angetreten, um der Sättigung solcher Auftritte etwas entgegenzusetzen?
C'monYou Know hat keinInteresse an solchen Fragen, aber es hat einen Kinderchor. Zum Auftakt. Mit seinerersten eigenen Zeile stellt Gallagher dann fast, dass die Leute um ihn herumwie Götter reden, bevor er "deal" auf "kneel"reimt. Oder reimen lässt. Seine Songs schreibt der Künstler nicht allein,geholfen haben Kollegen wie Ezra Koenig von Vampire Weekend oder Nick Zinnervon den Yeah Yeah Yeahs, smarte Indie-Experten aus den USA also, die Oasis,jede Wette, früher von den Festivalbühnen gefegt hätte. Heute erhofft sich Gallagheretwas Raffinesse von ihnen, die er selbst nicht liefern kann. Klappt so mittelund damit besser als im Song Everything's Electric, geschrieben von DaveGrohl, dessen Foo Fighters wiederum Oasis in den Neunzigerjahren von vielenFestivalbühnen gefegt haben. Eine Kreuzung aus Sabotage (Beastie Boys)und Gimme Shelter (Rolling Stones) habe Grohl schreiben sollen, wie esaus Gallaghers Lager heißt. Grohl muss dieser Auftrag derart verwirrt haben,dass er einfach ein Foo-Fighters-Stück komponierte, das Gallagher nun wiederumso routiniert wegsingt wie ein Musiker, der sich darüber freut, sein Albumendlich vollgekriegt zu haben.
Nichtmissverstehen: Es gibt gutes Britpop-Entertainment auf C'mon You Know,meistens dann, wenn Gallagher und sein Team sehr direkt bei Oasis klauen, was natürlicheigentlich bedeutet, dass sie bei den Beatles klauen. Was jedoch fehlt, isteine Idee oder Richtung, die dem Album Strahlkraft verleihen könnte, auch überdie Länge eines Twitter-Rants hinaus. Bis zum Ende der laufenden Woche wird mandieses Album vielleicht noch für wichtig halten, bis Ende Juni sich daranerinnern können. Dann wird es wieder um die Fragen gehen, ob, wann und wo endlich eine Oasis-Reunion steigen könnte. Die Antwort darauf kann nur der große BruderNoel geben. Auch das gehört zur Geschichte von Liam Gallagher.
"C'mon You Know" von Liam Gallagher ist bei Warner erschienen.
